Eine Reportage von Leonie Marie Lempa | Titelbild: Leonie Marie Lempa
Neben der Notfallnummer, dem Begleitschutz und der ganztägigen Präsenz des Sicherheitsdienstes gibt es zahlreiche andere Sicherheitsmaßnahmen und Angebote der Ruhr-Universität Bochum, die zur Sicherheit am Campus beitragen. Bei einem dieser Angebote handelt es sich um den vom Hochschulsport angebotenen Selbstbehauptungs- und Selbstverteidigungskurs für Frauen. Hast du noch nie von diesem Angebot gehört? Kennst du den Kurs, bist dir aber noch unsicher, ob du ihn belegen solltest? Hast du Angst vor dem Ablauf, dem Inhalt und dem Unbekannten? Damit bist du nicht allein.
Müde Teilnehmerinnen und muntere Übungsleiter:innen
Als ich mich am Sonntag frühmorgens aus dem Bett quäle, um nach Bochum zu pendeln, weiß ich nicht, was auf mich zukommen wird. Und hätte ich mir nicht in den Kopf gesetzt, einen Bericht über den Selbstbehauptungs- und Selbstverteidigungskurs für Frauen der RUB zu schreiben, dann wäre ich wahrscheinlich auch zuhause geblieben. Sechs Stunden mit unbekannten Frauen in einer fremden Umgebung oder noch ein paar Stunden länger in einer warmen Decke eingekuschelt schlafen. Letzteres klingt in meinem halb verschlafenen Zustand deutlich verlockender, wenn auch nur bis zum Betreten des Übungsraums.
Mit strahlenden Gesichtern und freundlichen Stimmen begrüßen uns die drei Übungsleiter:innen, die im Gegensatz zu uns Teilnehmerinnen wach und munter aussehen. Seit 2019 leitet der 68-jährige Wolfram M. Walter den Kurs, der an zehn bis zwölf Sonntagen im Jahr im Übungsraum Zwei des Unifit angeboten wird. Dabei handelt es sich um das Fitnessstudio, das vom Hochschulsport betrieben wird und von Student:innen und Mitarbeiter:innen der RUB kostenpflichtig genutzt werden kann. Unterstützt wird Übungsleiter Walter von je zwei Mitgliedern des Takemusu Aikido Bochum e.V., in dem Walter Trainer ist. Für den Fall, dass eine der Teilnehmerinnen nicht mit Männern üben will oder kann, ist ein weibliches Mitglied des Vereins anwesend. Diesen personellen Aufwand würde das Team nicht aus finanzieller Absicht betreiben, erklärt Andreas Thehos, der sich die Leitung mit Walter teilt und den Kurs zukünftig übernehmen wird. Vielmehr täten die Vereinsmitglieder es aus dem Glauben heraus, das Richtige zu tun.

Ein sicherer und einfacher Einstieg?

Nach der Begrüßung durch die Übungsleiter:innen stellen wir Teilnehmerinnen uns vor. Im Kreis aufgestellt blicken wir uns alle an. Wir unterscheiden uns in unserem Aussehen und Verhalten, der Persönlichkeit, den Interessen und soziokulturellen Merkmalen. Unsere Geburtsjahre liegen manchmal sehr weit auseinander und zwei von uns sprechen lediglich Englisch. Die meisten von uns sind Studentinnen wie ich. Andere sind Mitarbeiterinnen und Alumni der RUB, einige wenige stehen in keiner Beziehung zur Universität. Vielleicht ist es gerade diese weibliche Diversität, die mich sicher und geschützt fühlen lässt.
Auch wenn dieses Gefühl der Sicherheit mich zunächst nicht davor bewahren kann, aus der Komfortzone gerissen zu werden. Aber würdest du dich wohl fühlen? Könntest du von jemandem fordern, den Abstand einzuhalten und deine Aussagen so bedacht formulieren, dass sie eine Provokation und Eskalation vermeiden und gleichzeitig keinen Interpretationsspielraum lassen? Könntest du deine Stimme erheben und im Notfall schreien? Ich kann es nicht. Ich finde es schwierig, meine Gedanken in Worte zu fassen, meine Grenzen zu kommunizieren und laut zu werden. Auch in Situationen, in denen mir jemand unangenehm nahekommt. Zu nah. Bald ist es vorbei, bloß keine Aufmerksamkeit auf mich ziehen. Altbekannte Gedanken rasen in meinem Kopf umher, mein Körper ist wie festgefroren. Und nicht nur mir geht es so. Die meisten Teilnehmerinnen fühlen sich zunächst unwohl mit den Übungen, die genau diese übergriffigen Situationen simulieren. Sie brauchen zu lange, um die richtigen Worte zu finden und verhaspeln sich. Sie sind zu leise und ihre Körperhaltung gebückt, fast schon unterwürfig. Gebunden an soziale Normen fallen ihnen, ebenso wie auch mir, all diese Dinge schwer. Und das, obwohl die eben genannten präventiven Verhaltensweisen laut Übungsleiter Walter 99% der Selbstverteidigung ausmachen. Konfrontation hingegen lediglich 1%.
Ausgelassene Stimmung und steigendes Selbstbewusstsein

Mit dem Voranschreiten des Stundenzeigers wird unsere Haltung immer besser, unsere Stimmen lauter und wir selbstbewusster. In den zahlreichen Pausen unterhalten wir uns ausgelassen miteinander, tauschen Erfahrungen aus, gehen gemeinsam zum Backwerk im Hauptbahnhof Bochum und ich versuche mich sogar auf Englisch zu unterhalten. Ein eher kläglicher Versuch meinerseits, über den ich heute nur noch schmunzelnd den Kopf schütteln kann. Die Stimmung ist ausgelassen, trotz der schwerwiegenden Thematik und vermag es, die Sichtweise der Übungsleiter:innen abzubilden. Denn Andreas Thehos und Wolfram M. Walter wollen uns nicht paranoid machen. Sie wollen uns lediglich dafür sensibilisieren, „die Augen auf zu haben und achtsam zu sein, nicht zu leichtfertig, aber auch nicht zu ängstlich zu sein“, fasst Übungsleiter Thehos zusammen.
Nichtsdestotrotz werden nicht nur präventive Maßnahmen vermittelt. Was kannst du tun, wenn der potentielle Angreifer sich nicht abschrecken lässt? Mehr als du denkst und mehr als ich mir zunächst bewusst gewesen bin. Den Körper beschweren, sich befreien, mit dem Ellbogen stoßen, schlagen, treten. Die Möglichkeiten erscheinen uns unendlich, denn in Notsituationen sei alles erlaubt, sagt Übungsleiter Thehos. Die Übungsleiter:innen vermitteln uns eine Kombination aus Techniken der japanischen Kampfkunst Aikido und effektiven Selbstverteidigungstechniken. Das Erlernte entfaltet bereits während der Durchführung große Wirkung. Wir Teilnehmerinnen werden selbstbewusster, je mehr wir über unsere weibliche Stärke lernen. Stärke, die ich zu Beginn des Kurses nicht in mir gesehen habe, derer ich mir nicht bewusst gewesen bin. Ich habe kaum Muskeln und bin mit meinen 1.66m auch nicht gerade groß. Aber mit jeder Befreiungstechnik, die wir erlernen, jedem Schlag, den wir üben, habe ich das Gefühl, immer kräftiger und größer zu werden. In diesem großen fensterlosen Raum, der mit dreizehn Frauen, drei Übungsleiter:innen und so viel Lachen und Wärme gefüllt ist, habe ich das Gefühl, unbesiegbar zu sein.

Unifit. | Fotos: Leonie Marie Lempa
Ich fühle mich stark. Ich fühle mich sicher.
Warum du teilnehmen solltest!
In den sechs Stunden habe ich erfahren, dass ich nicht hilflos bin. Neben den rechtlichen Grundlagen zur Notwehr habe ich gelernt, dass wir Frauen mit relativ schnell erlernbaren Techniken eine hohe Wirkung erzielen können. Und das überwiegend nur durch das leichte Drehen und Bewegen meines eigenen Körpers. Werde ich den Kurs in ein paar Monaten nochmal besuchen? Definitiv. Denn die kurze Zeit hat mich noch lange nicht zu einer Meisterin in der Selbstbehauptung und -verteidigung werden lassen. Wie auch viele andere Teilnehmerinnen werde ich den Kurs wiederholen, um die erlernten Techniken aufzufrischen. Auch wenn ich schon jetzt das Gefühl habe, im Moment der Bedrängnis und des Unwohlseins angemessener reagieren zu können als vor meiner Teilnahme.
Ich möchte nie wieder in Schockstarre verfallen und stärker, mutiger und selbstbewusster in meinem Alltag auftreten. Und du?
Du bist interessiert?
Dann buch den Selbstbehauptungs- und Selbstverteidigungskurs doch direkt auf der Website des Hochschulsport Bochums.
Termin: An einem Sonntag, von 10 bis 16 Uhr. Das genaue Datum kannst du der Website entnehmen.
Ort: Im Fitnessstudio Unifit
Massenbergstraße 9-13
44787 Bochum
Kosten:
10€ für Studierende
15€ für Beschäftigte
20€ für Alumni
30€ für Externe
Hinweis: Die Buchung ist lediglich für weibliche Teilnehmerinnen möglich.

Bei Nachfragen und Anfragen rund um den Kurs kannst du dich über die E-Mail thehos@at-training.de auch direkt an den Übungsleiter Andreas Thehos wenden.
Kennst du schon die anderen Sicherheitsmaßnahmen der RUB?
- Notfallnummer (+49 234 322 3333)
- Begleitschutz (+49 234 3227001)
- Sicherheitsdienst
- Frauenparkplätze unter dem SSC-Gebäude
- Antisexismus-Projekt „Unser Campus“
- Campus-Begehungen
- Gewaltpräventionskurse der RUB