Die Ruhr-Universität Bochum gehört seit 2020 zu UNIC – The European University of Cities in Post-Industrial Transition – und öffnet seitdem Studierenden, Lehrenden und auch Beschäftigten der RUB die Chance, sich international breiter aufzustellen. Im Gespräch mit Prorektorin Prof. Kornelia Freitag erfahren wir mehr über die Entstehungsgeschichte dieser Allianz und die Bedeutung für unsere Universität.
Hallo Frau Freitag! Ich bedanke mich recht herzlich für dieses Interview. Beginnen wir doch ganz simpel: Wer sind Sie, was sind Ihre Aufgaben hier an der Universität und vor allem in Bezug auf UNIC?
Ich bin die Prorektorin für Lehre und Studium an der Ruhr-Universität Bochum und bin jetzt in meiner zweiten Amtszeit. Meine Arbeit ist sehr vielfältig und betrifft Projekte und Entwicklungen im Bereich der Lehre. In unterschiedlicher Art und Weise bin ich zudem sehr stark in die Internationalisierung involviert; hier spielt UNIC natürlich eine ganz große Rolle. Für uns ist das ein Projekt, welches zentral helfen soll, Studierende der Ruhr-Universität mehr dafür zu begeistern, sich im Studium international aufzustellen, auch mal für ein paar Wochen oder ein Semester aus Bochum rauszugehen, Englisch zu sprechen und andere Lehr- und Forschungsansätze kennenzulernen. Da wir das dringend brauchen, ist es eines der zentralen Themen in den letzten Jahren für mich gewesen.
Während meiner Recherche für UNIC ist mir tatsächlich aufgefallen, dass zur Entstehungsgeschichte nicht viel aufzufinden war. Würden Sie da etwas Licht ins Dunkel bringen?
Wenn man das insgesamt einordnen möchte, sollte man mit einer Rede von Emmanuel Macron vom 26.09.2017 anfangen, wo er als Vision formuliert hat:
“We must create European universities, networks of universities which allow students to study abroad and follow classes in at least two languages.”
– Emmanuel Macron
Das ist von der Europäischen Union aufgegriffen und in einen Wettbewerb gebracht worden, bei dem sich Allianzen von Universitäten aus unterschiedlichen Teilen Europas bewerben konnten, die vorhatten, insbesondere in der Lehre zusammenzuarbeiten.
Das war natürlich eine sehr interessante Idee, die genau zu dem Anliegen passte, den Studierenden an der Ruhr-Universität mehr Möglichkeiten zu bieten und Chancen zu eröffnen, international zu studieren, internationale Erfahrungen zu machen, auch internationale Studierende auf dem Campus zu treffen und letztlich selbst aktiv zu werden bei der Internationalisierung. Die Idee war, Kooperationsmöglichkeiten zu schaffen, die stabiler universitär flankiert und dadurch besser berechenbar waren als die normalen Erasmus Programme, bei denen man als einzelne*r Student*in hingeht und sich dann für allein durchkämpft, wieder zurückkommt und zusehen muss, was von dem im Ausland Geleisteten anerkannt wird. Mit den zunächst sieben und jetzt neun Universitäten in Bilbao, Cork, Istanbul, Liegé, Łódź, Malmö, Oulu, Rotterdam und Zagreb haben wir Universitäten gefunden, die ähnliche Visionen wie wir haben und die auch zu uns passen.Der Anstoß ist aus der Universität Rotterdam gekommen und diese hat jetzt auch die Konsortialführerschaft inne.
Warum passt die RUB in diese Allianz?
Wir haben uns den Namen “European University of Cities in Postindustrial Transition” gegeben und das erklärt, warum die RUB, die eben in einer postindustriellen Stadt liegt, so gut dazu passt. Alle Universitäten unseres Konsortiums liegen in Städten, die vormals sehr stark durch Industrieproduktion geprägt waren. Diese Prägung ist bis heute in den Bauten, in der Zusammensetzung der Bewohner*innen zu sehen, obwohl die industrielle Produktion längst nicht mehr die Bedeutung und das Bild der Stadt bestimmt. In Bochum hatten wir Stahl- und Kohleproduktion, die von Opel und Nokia abgelöst wurde, und jetzt ist die Wissensproduktion das Zentrum dessen, was Arbeitsplätze schafft und was Bochum zu Bochum macht. Das schlägt sich natürlich im Charakter der Region nieder und zeigt sich in unserer Studierendenschaft, die durch ursprünglich industrielle Migration und durch zahlreiche Bildungsaufsteiger*innen geprägt ist. Wir haben eine traditionell sehr vielfältige Studierendenschaft.
Was folgt nun konkret aus dem Zusammenschluss?
Wir haben zwei Joint Degrees, das heißt, gemeinsame Studiengänge, eröffnet: RePIC, Redesigning the Post-industrial City, und SEOS, Superdiversity in Education, Organisation and Society. Sie sind den großen Themen gewidmet – der postindustriellen Stadt und Superiversity – um die es uns in UNIC geht. Wie können Studierende dazu beitragen, postindustrielle Städte lebenswert für ihre superdiverse Bevölkerung zu machen? Das ist die Frage, die viele Aktivitäten in UNIC bestimmt. Wir sind also wirklich davon getrieben, dass wir als Universitäten eine große Verantwortung für unsere Städte haben. Wir möchten daher unsere Studierenden vorbereiten, Verantwortung für den Wandel, der sich nicht nur in unseren Städten, sondern auch an anderen Stellen in der Welt – und nicht nur in Europa – abspielt, zu übernehmen und ihn aktiv mitzugestalten.
Gibt es eine weitere Universität, mit der Sie in Zukunft gern kooperieren möchten?
Nicht nur eine: Wir haben Verbindungen zu US-amerikanischen, ostasiatischen und afrikanischen Universitäten. Es ist ganz wichtig, dass wir da weiter dran arbeiten. Gerade der globale Süden ist wichtig und nicht genug vernetzt, spielt aber eine immer größer werdende Rolle in der Welt. Insofern ist es wichtig, dass wir uns nicht auf dieses europäische Konsortium beschränken, sondern dass wir weiter gehen. Wir haben zum Beispiel auch als Associated Partner die Universität Kiew. Auch wenn sie noch nicht berechtigt ist, EU-Mittel in diesem Programm zu bekommen, arbeiten wir intensiv zusammen, als wenn die Ukraine bereits dazugehören würde. Auch mit Großbritannien, das durch den Brexit aus der EU ausgetreten ist und somit nicht an der im Moment von der EU finanzierten Initiative teilnehmen kann, arbeiten wir weiter zusammen.
Wo sehen Sie UNIC in der Zukunft?
Der Slogan, den ich jetzt zitiere, stammt von einer Kollegin aus Cork:
“It’s not a project, it’s our future”
– in anderen Worten, wir werden UNIC zukünftig weiter in die Lehre und das Studium in Bochum einbinden. Die intensive Zusammenarbeit mit den anderen europäischen Universitäten ist aus unserer Sicht wichtig für die Universitäten, die Städte aber vor allem für die Studierenden. Egal ob wir mit EU-Mitteln gefördert werden oder nicht, tragen wir diesen Gedanken weiter und integrieren ihn in die Arbeit unserer Universitäten. Die zweite UNIC-Projektphase hat jetzt begonnen. Wenn man Netzwerke zwischen Universitäten aufbaut, sollten das Langzeitprojekte sein, die man nicht nach wenigen Jahren wieder fallen lässt. Wir werden in allen Bereichen zusammenarbeiten: neben der Lehre auch in Forschung, Transfer und durch CityLab-Projekte. Das Zentrum wird weiter der Studierendenaustausch sein. Wir werden mehr Joint Degrees, Multiple Degrees, Virtual Exchanges, gemeinsame Projekte und Begegnungen initiieren und hier zudem die verstärkte Kooperation mit den Städten sowie auch die Zusammenarbeit der Städte untereinander fördern, so dass auch sie anfangen miteinander zu reden und einander zu unterstützen. Das machen wir in Bochum und an der RUB bereits sehr stark. Wir bilden also nicht nur für die Wissenschaft, sondern auch für die Wirtschaft und die gesamte Gesellschaft aus und versuchen, diesen Spirit verstärkt in die Stadt und die Region zu tragen.
Mein Traum wäre, dass in den Studiengängen aller Fakultäten ganz klar ist, dass sie immer eine UNIC-Komponente haben und die Studierenden dort immer aktiv sein können.
Wo werden Lehrveranstaltungen aus UNIC an der RUB konkret angeboten?
Das ist unterschiedlich. Speziell im Optionalbereich gibt es zahlreiche UNIC-Module und man kann in der Modulsuche sogar explizit diese Angebote filtern. Und dann gibt es in allen Fakultäten verschiedenste Angebote: von der Gastvorlesung und geöffneten Online- Kursen anderer Unis über Angebote im forschenden Lernen und Challenges bis zu gemeinsamen Seminaren und Sommerschulen.
Sehen Sie denn schon erste Ergebnisse, die diese Projekte zeigen?
Wir haben eine ganze Anzahl von Studierenden und Lehrenden, die sich bereits beteiligt haben und begeistert davon sprechen, an zum Beispiel einem Virtual Exchange teilgenommen zu haben. Zudem interessieren sie sich auch weiterhin dafür, was mit den Kommilitoninnen passiert, mit denen sie in virtuellen Projekten zusammengearbeitet haben. Spannend sind für sie auch Vergleiche: Wie studiert es sich hier und wie anderswo? Was funktioniert hier und was aber nicht woanders? Noch sind es viel zu wenige Studierende, die diese Möglichkeiten nutzen, aber ich hoffe sehr, dass immer mehr die Chance erkennen und ergreifen, sich an den Möglichkeiten, international zu studieren, zu beteiligen. Ich kann Studierende nur dazu aufrufen nachzufragen: Gehen Sie zu Ihren Studiendekan*innen, gehen sie zu Ihren Fachschaftsräten und fragen Sie, ob man gemeinsam etwas im Rahmen von UNIC machen könnte. Es soll Angebote in den Fakultäten geben, die bepunktet werden und ganz regulär ins Studium integriert sind. Angebote, die einem ermöglichen, Internationalisierung zuhause und im Ausland zu erfahren. Das muss sich weiter entwickeln.
Ich bedanke mich recht herzlich für das Interview mit Ihnen!
von Fatima-Zohra Bentahar