Let’s get physical – RUB lädt zu Physikvorträgen in die Kirche ein

Eine Reportage von Jolina Rohland | Titelbild: SMP-Flyer der Fakultät für Physik und Astronomie, Bild © David Walls, via Canva.com

Mathematik, Physik, Chemie – für viele Schüler*innen die Dreifaltigkeit der Langeweile. Aber muss das so sein? Wie spannend Naturwissenschaften sein können, beweist die RUB in den Saturday Morning Physics.

Von verstaubten Hörsälen in die Bochumer Innenstadt

Es ist der Morgen des achten Februars, ein Samstag. In der Grabenstraße herrscht bereits reges Treiben. Dort, versteckt zwischen Geschäften und Cafés, mein Ziel: die Pauluskirche, derzeitiger Veranstaltungsort der Vortragsreihe Saturday Morning Physics (kurz SMP).

In Anlehnung an das gleichnamige, bereits 1995 debütierende Projekt der University of Michigan, sind Physikinteressierte jeden Alters und Kenntnisstandes zu humoristischen Vorträgen und faszinierenden Experimenten eingeladen. Sie finden in den Wintersemestern in unregelmäßigen Abständen samstagmorgens statt, die Teilnahme ist kostenlos, eine Anmeldung nicht erforderlich.

Wenn sie nicht zur Physik kommen, kommt die Physik eben zu ihnen: Mit der Pauluskirche hat die RUB einen zentralen Veranstaltungsort gefunden. (Foto: Jolina Rohland)

Empfangen werde ich vom Duft frischer Waffeln und Kaffee, die von Freiwilligen aus der Fachschaft Physik vor Beginn verkauft werden. Ich habe Glück, noch einen Sitzplatz zu ergattern; fast 200 Menschen haben sich in der kleinen Kirche eingefunden – mehr als in den meisten Physikvorlesungen, die ich bisher besuchen durfte.

Kein Widerspruch: Kirche und Wissenschaft in perfekter Symbiose (Foto: Jolina Rohland)

„Das ist ja genau das, was wir wollen. Also Physik sozusagen unter die Leute bringen“, sagt Cinja Bösel, Zuständige für Öffentlichkeitsarbeit und Studiengangsmarketing für die Fakultät für Physik und Astronomie an der RUB. Daher finde sie es auch „total schön“, nun mit der Pauluskirche einen so zentralen Veranstaltungsort zu haben. Dass dazu nicht mehr die Hörsäle der Universität genutzt werden, sei zwar Energiesparmaßnahmen geschuldet, könne aber auch eine Chance sein, Menschen zu erreichen, „die sonst vielleicht nicht den Weg zur Uni gefunden hätten“.

Eine Kirche als Physikhörsaal?

Wo sonst Glaube und Spiritualität gepredigt werden, wird nun den Rätseln des Universums auf den Grund gegangen. Formeln statt Psalmen. Das mag manch einem erst einmal widersprüchlich erscheinen. Pfarrer Constantin Decker sieht das anders: „Ich persönlich glaube, dass meine Religion, mein Glaube sich schon immer nach den Geheimnissen des Universums gesehnt hat.“ Daher freue es ihn, wenn man diesen Geheimnissen nun in „seiner“ Kirche auch aus naturwissenschaftlicher Sicht nachgeht.

Ein Jahr zu Ehren der Quantenwissenschaft

Einem dieser Geheimnisse kommt Werner Heisenberg 1925 auf die Spur. Bereits 1900 legt Max Planck unwissend den Grundstein für eine neue Physik, die alles infrage stellen sollte, was man zu wissen glaubte: Die Quantenphysik. Nur 25 Jahre später gelingt Heisenberg mit der heisenberg’schen Matrizenmechanik erstmals eine mathematische Beschreibung der Quantenmechanik und ebnet so den Weg etwa für Quantencomputer und -kryptographie, aber auch alltäglichere Technologien wie die Magnetresonanztomographie (kurz MRT).

Zum 100-jährigen Jubiläum dieser historischen Errungenschaft erklärte die Generalkonferenz der Vereinten Nationen 2025 zum internationalen Jahr der Quantenwissenschaft und -technologie. Aus diesem Anlass beleuchten alle vier SMP-Vorträge des Wintersemesters 2024/25 verschiedene Aspekte der Quantenphysik.

Prof. Dr. Heiko Krabbe und Dr. Marco Seiter, beide Lehrstuhl für Didaktik der Physik an der RUB, begrüßen ihr Publikum zu ihrem Vortrag Die wunderbare Welt der Quantenphysik – Experimente mit Photonen.

Und es ward Licht

Quantenphysik ist komplex. Das stellt die Referenten in diesem Semester vor eine besondere Herausforderung, sollen die Vorträge doch für jeden verständlich sein. Experimente können Teil der Lösung sein.

Der Quantenkoffer – ein eher unscheinbares Gerät, das unsichtbare Wunder birgt: Vor den Augen des Publikums lässt Dr. Seiter einzelne Photonenpaare entstehen, mithilfe von Polarisationsfiltern will er ihre Verschränkung beweisen. Ein Phänomen, das mit aller Alltagserfahrung bricht.

Was bei den einen Faszination auslöst, stößt bei anderen auf Zweifel. Denn außer ein paar Messwerten bekommen wir nicht wirklich etwas zu sehen, ein Leiden vieler quantenphysikalischer Experimente. Skeptikern aus dem Publikum entgegnet Krabbe: „Ich muss an das Messgerät glauben.“ Ich muss schmunzeln: Wo, wenn nicht in einer Kirche?

Ziel erreicht

„Sie sind heute sozusagen mein Klassenzimmer.“ Mit diesen Worten leitet Prof. Dr. Krabbe in seinen Vortrag ein. Und tatsächlich erinnert mich dieser an eine klassische Vorlesung. Doch die Atmosphäre ist eine andere.

Es ist mucksmäuschenstill im Saal. In einer Vorlesung hätte das wahrscheinlich bedeutet, dass die meisten eingeschlafen sind. Aber hier nicht. Der frühen Uhrzeit zum Trotz (11 Uhr, das ist doch keine Uhrzeit!) hören die Anwesenden gebannt zu. Und das steckt an. Es macht eben einen Unterschied, ob die Menschen um einen herum tatsächlich von Neugier gefesselt sind oder ihnen lediglich die Verpflichtung im Nacken sitzt und sie erst aufhorchen, wenn das Wort klausurrelevant fällt.

Darüber, woran es liegt, dass nur wenige Schüler*innen die Vorträge besuchen – das Durchschnittsalter schätze ich heute auf 70+ –, ließe sich nur spekulieren. Doch auch wenn man es sicherlich begrüßen würde, insbesondere Jüngere für Physik zu begeistern und vielleicht sogar zu einem Studium an der RUB zu motivieren, ist das Ziel der Veranstaltung nicht verfehlt.

Man wolle „in die Gesellschaft wirken“ und „die Dinge, die man macht, der Gesellschaft zur Verfügung stellen“, erklärt Prof. Dr. Krabbe. Die sogenannte Third Mission der Universitäten, nämlich der Dialog mit Gesellschaft und Wirtschaft als dritte Kernaufgabe (neben Lehre und Forschung), gewinne zunehmend an Bedeutung. Dabei richte man sich nicht allein an Schüler*innen. Für diese gebe es jede Menge andere Angebote, etwa das Schülerlabor.

Zurück nach der Sommerpause

Wessen Interesse geweckt ist, wird sich bis zum Wintersemester 2025/26 gedulden müssen. Ab Oktober 2025 entführt die RUB dann wieder in eine Welt kleinster Teilchen und großer Wunder.

Genauere Informationen dazu werden dann hier zu finden sein. Wer nicht so lange warten möchte, findet hier weitere Veranstaltungen der Fakultät für Physik und Astronomie.