Ein Hintergrundbericht von Cheyenne Fahl | Titelbild: Jarle Eknes 2014
Wie viele wissenschaftliche Einrichtungen betreibt auch die Ruhr-Universität Bochum Tierversuche, insbesondere in der biologisch-medizinischen Forschung. Die Universität steht im Konflikt zwischen wissenschaftlichem Fortschritt, ethischer Verantwortung und öffentlicher Kritik. Die RUB betont ihren transparenten Umgang mit Tierversuchen und veröffentlicht wichtige Daten und Hintergründe zur Forschung. Doch Kritiker hinterfragen sowohl die Praxis als auch den vermeintlich transparenten Umgang damit.
Die RUB hat sich 2021 der Initiative ‚Transparente Tierversuche‘ angeschlossen. Diese wurde ins Leben gerufen, um für mehr Offenheit zu sorgen – auch durch persönliche Geschichten. Der Biopsychologe Prof. Dr. Onur Güntürkün, der als Kind an Kinderlähmung erkrankte, erklärt in einem RUB-News-Magazin: „Tierversuche haben mein Leben gerettet. Jetzt ist es an mir, durch Forschung Wissen zu schaffen, das anderen Menschen hilft.“ Die Initiative wurde von der Deutschen Forschungsgemeinschaft sowie der Plattform „Tierversuche verstehen“ ins Leben gerufen und zielt darauf ab, den verantwortungsvollen Einsatz von Versuchstieren unter Tierschutzbestimmungen zu fördern.
„Leere Hülse statt echter Transparenz“
Trotz dieser Bemühungen stößt die Praxis weiterhin auf Widerstand, insbesondere weil das Thema durch die Initiative nun sichtbarer ist. Der Verein Ärzte gegen Tierversuche e. V. kritisiert die Praxis der Tierversuche grundsätzlich, auch an der RUB. Aus Sicht des Vereins seien solche Versuche weder ethisch vertretbar noch wissenschaftlich zuverlässig. Zudem richtet sich die Kritik gezielt gegen die erwähnte Transparenz-Initiative. Diese sei, so der Verein in einem Artikel vom August 2024, „kaum mehr als eine leere Hülse“ (Quelle). Statt Aufklärung werde ein verzerrtes Bild erzeugt, das das tatsächliche Ausmaß des Tierleids verschleiert. Der Verein bezeichnete die an der RUB durchgeführten Tierversuche als ‚zweckfreie Grundlagenforschung‘, die aus ihrer Sicht keinen echten medizinischen Nutzen erbringt.
Besonders problematisch sei laut dem Verein die Umsetzung der gesetzlich vorgeschriebenen Dokumentationspflichten der Initiative, die auf EU-Ebene festgelegt sind. Zahlreiche Tiere, wie beispielsweise die, die bereits beim Transport oder in der Zucht sterben, tauchen nicht in Statistiken auf, Projektzusammenfassungen werden nur stark verkürzt veröffentlicht, sodass eine Bewertung durch Dritte praktisch unmöglich wird. Zudem ist die Veröffentlichung von Versuchsergebnissen nicht verpflichtend. Studien, die keinen „Erfolg“ (Quelle) bringen oder nicht publiziert werden, verschwinden in Schubladen und mit ihnen wichtige Informationen über mögliche Misserfolge. Dies erschwert nicht nur die Nachvollziehbarkeit, sondern erhöht das Risiko redundanter, doppelt durchgeführter Experimente, so der Verein.
Zwischen Verantwortung und Kontroverse
Auf ihrer Website betont die RUB, dass sie Tierversuche nur unter strengsten ethischen und gesetzlichen Auflagen durchführt. Diese seien nach wie vor unverzichtbar, um Krankheiten wie Alzheimer, Krebs, Diabetes oder seltene genetische Erkrankungen besser zu verstehen und neue Therapien zu entwickeln. Um die Einhaltung dieser Auflagen zu gewährleisten, wurde zudem die Stelle eines Tierschutzbeauftragten eingerichtet. Wie es in der offiziellen Stellungnahme heißt, „werden Tiere nur dann eingesetzt, wenn dieses Wissen anders nicht gewonnen werden kann und der erwartbare Erkenntnisgewinn das Belastungsmaß rechtfertigt.“ Besonders in der Hirnforschung gebe es bislang keine gleichwertigen Alternativen, weshalb sich die RUB bemühe, in aktuellen Forschungen solche zu finden. Doch auch hier äußert der Verein starke Kritik. Die Versuche an Tieren sowie deren Ergebnisse und vermeintliche Erfolge seien unverhältnismäßig.
Ein offener Diskurs bleibt notwendig
Der Streit um Tierversuche zeigt: Wissenschaftliche Notwendigkeit, ethische Verantwortung und gesellschaftliche Akzeptanz sind nicht leicht in Einklang zu bringen. Während die RUB auf Offenheit und gesetzeskonforme Praxis setzt, fordern Kritiker*innen eine grundlegend neue Bewertung tierexperimenteller Forschung, nicht nur im Hinblick auf deren Nutzen, sondern auch auf deren moralische Vertretbarkeit.
„Für die Entwicklung neuer Medikamente und ein besseres Verständnis menschlicher Erkrankungen sind tierexperimentelle Untersuchungen vor allem an Kleinnagern auch heute noch vielfach unverzichtbar“, betont auch Prof. Dr. Ralf Gold, der Dekan der Medizinischen Fakultät der RUB, von welcher ebenfalls Tierversuche durchgeführt werden. „Dabei muss aber gewährleistet werden, dass die Belastung der Tiere so gering wie möglich gehalten und vermieden wird, Experimente durchzuführen, die in der digitalisierten wissenschaftlichen Welt schon andernorts durchgeführt und publiziert wurden.“
Die Debatte um Tierversuche bleibt daher weiterhin ungelöst. Wie viel Tierleid darf wissenschaftlicher Fortschritt kosten und wo verläuft die ethische Grenze?
Alle erwähnten Artikel und weitere Information:
https://de.wikipedia.org/wiki/Onur_G%C3%BCnt%C3%BCrk%C3%BCn
(https://www.initiative-transparente-tierversuche.de/)
https://forschung.ruhr-uni-bochum.de/de/der-ruhr-universitaet-eingesetzte-versuchstiere
https://forschung.ruhr-uni-bochum.de/de/tierexperimentelle-forschung
https://forschung.ruhr-uni-bochum.de/de/tierexperimentelle-forschung
https://www.aerzte-gegen-tierversuche.de/images/infomaterial/bochum.pdf

