Von Tōkyō nach Bochum: Ein historischer Schatz an der RUB

Ein Bericht von Raphael Horend | Titelbild: Raphael Horend

Die Sammlung des Forschers Philipp Franz von Siebold ist ein einzigartiger Kulturschatz, der ein lebendiges Bild Japans aus dem 19. Jahrhundert zeichnet. Sie ist nicht nur ein Fenster in eine lange isolierte Welt, sondern erzählt auch die fesselnde Geschichte des Mannes, dessen Neugier sie zusammengetragen hat.

Während die Ruhr-Universität vor allem für ihre natur- und ingenieurwissenschaftliche Forschung bekannt ist, beherbergt sie auch ein kulturelles Erbe, das älter ist als die Universität selbst: die Sammlung des deutschen Arztes Philipp Franz von Siebold (1796–1866). Es ist eine der bedeutendsten Japansammlungen der Welt, und ihre Geschichte ist eng mit der Gründungsgeschichte der Universität verknüpft.

Ein deutscher Sammler im isolierten Japan

Um die Bedeutung der Sammlung zu verstehen, muss man den Sammler kennen. Philipp Franz von Siebold reiste 1823 als Arzt im Dienst der Niederländischen Ostindien-Kompanie (VOC) nach Japan. Das Land befand sich damals in einer selbstgewählten Isolationsphase. Der einzige erlaubte Kontaktpunkt zur westlichen Welt war die kleine aufgeschüttete Insel namens Dejima vor der Küste Nagasakis.

Von dieser Basis aus gelang es Siebold ein weitläufiges Netzwerk aus japanischen Gelehrten, Ärzten und Künstlern aufzubauen. Getrieben von Neugier, trug er alles zusammen, was ihm ein umfassendes Bild des Landes vermitteln konnte. Darunter Tausende von Pflanzen und Tieren, kunstvolle Lackarbeiten, Holzschnitte, aber auch Alltagsgegenstände, Werkzeuge und sogar streng geheime Landkarten. Seine Sammlung war weit mehr als ein Kuriositätenkabinett. Sie war vielmehr der Versuch, eine fremde Kultur in ihrer ganzen Tiefe enzyklopädisch zu erfassen und wissenschaftlich zu dokumentieren.

Ein internationaler Schatz

Nach Siebolds Tod blieb die Sammlung, die er mit so großer Sorgfalt aufgebaut hatte, zunächst größtenteils im Familienbesitz. Bei der ersten Universitäts-Neugründung der Nachkriegszeit nutzte das Land Nordrhein-Westfalen die einmalige Gelegenheit und erwarb den Kern der Sammlung für die RUB. Die Universität erhielt nicht nur einen Kulturschatz von unschätzbarem Wert, sondern auch ein Fundament für die neu entstehende Fakultät für Ostasienwissenschaften.

Porträt von Philipp Franz von Siebold, 1875, Edoardo Chiossone

Die Siebold-Sammlung entwickelte sich zu einem Anziehungspunkt, der international renommierte Forscher*innen nach Bochum brachte und damit den Grundstein für die heute exzellente Japanforschung legte. Professor Emeritus der Universität Tōkyō Tokuhei Tagai sagte der RUB in einem Interview: „Diese Quellen gibt es nirgendwo sonst auf der Welt. Außerdem ist Siebold in Japan sehr bekannt und es gibt ein großes öffentliches Interesse an seiner Person.“

Mehr als nur Geschichte

Die Siebold-Sammlung ist das beste Beispiel dafür, wie der Forschergeist einer einzelnen Person eine Brücke über die Zeit schlagen und den Grundstein für ein ganzes Wissensgebiet legen kann. Die Sammlung ist auch nach Jahrzehnten kein verstaubtes Relikt, sondern ein lebendiger Teil der Universität, der beweist, wie historische Forschung das Wissen von heute und morgen bereichert.

Die Sammlung kann auf Anfrage von fachlich Interessierten eingesehen werden, unterliegt aufgrund des enormen historischen Werts jedoch strengen Benutzerrichtlinien. Verantwortlich für die Sammlung ist Frau Prof. Dr. Katja Schmidtpott (Stand: August 2025).

Zur Seite der Fakultät für Ostasienwissenschaften.

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Zwischen Beton, Bildschirmen und Blicken: Kunst am Bau an der Ruhr-Universität Bochum im digitalen Zeitalter

Feature von Sude Erkan | Titelbild: „Grand Vitrail Cinetic” aus Sekurit-Glasplatten im HZO-Gebäude. Von Victor Vasarely (1906 – 1997), Anstoßgeber der „Op Art“, einer Kunst, die die Aufmerksamkeit auf Bildmuster und ungewöhnliche Figur-Grund-Verhältnisse lenkt. Foto: Sude Erkan

Grauer Beton, hallende Schritte und leuchtende Displays prägen das Bild des Campus der Ruhr-Universität Bochum. Studierende eilen von Hörsaal zu Mensa, von der Bibliothek in den Seminarraum. Unter ihren Schuhen wackeln die Betonplatten, kaum jemand bleibt stehen. Und doch ist sie da: die Kunst am Bau – scheinbar überall sichtbar und dennoch von allen übersehen.

Schriften, Skulpturen und Reliefs prägen die Wege der Studierenden – Zeugnisse einer anderen, ruhigeren Wahrnehmung, als Studierende die Welt noch ohne die Ablenkung digitaler Medien wahrnahmen. Heute stehen die Kunstwerke fast unbeachtet im Schatten von Bauarbeiten, Zoom-Sitzungen und ewigen Diskussionen über die brutalistische Architektur der Uni.

Auf dem großen Forumsplatz der RUB ist dies besonders spürbar: Auf einem weitläufigen Areal stehen Kunstwerke aus den 60er- und 70er-Jahren: Skulpturen, die vom gesellschaftlichen Aufbruch zeugen, von einem demokratischen Verständnis von Kunst. Sie sollten nicht mehr nur einer Elite vorbehalten sein, sondern allen Menschen offenstehen und zugänglich sein. Betrachter*innen dürfen und sollen Kunst mitgestalten und mitinterpretieren.

An der Universität befinden sich insgesamt mehr als 20 Kunstwerke, an oder zwischen den Gebäuden. Seit den 60ern gehören sie fest zum Campusbild, doch im Alltag von iPads und Online-Vorlesungen scheinen sie in ihrer Präsenz kaum noch wahrgenommen zu werden.

„Freilichtmuseum moderner Kunst“?

„Von der U-Bahn-Station gehe ich meist nur bis zum GA-Gebäude und wieder zurück. Auf dem Weg sind mir nie Kunstwerke aufgefallen“, sagt Stella, Bachelorstudentin im fünften Semester. Displays strukturieren den Alltag der Studierenden: Der Blick richtet sich vermehrt online, nicht offline. Im Strom digitaler Reize wird Kunst im öffentlichen Raum schnell zur Kulisse, die beim Vorbeigehen übersehen wird.

Eine andere Studierende erzählt, sie fokussiere sich nicht besonders auf die Umgebung am Campus und höre oft Musik, wenn sie unterwegs ist. Erst als das Thema Kunst am Bau aufkommt, wird ihr etwas deutlich. „Jetzt, wo du es ansprichst, es sind überall Statuen, aber ich habe diese nie als Kunst wahrgenommen“, sagt Louisa. Sie ist im zweiten Semester.

Seit der Corona-Pandemie ist Präsenz am Campus wieder gang und gäbe. Die Räumlichkeiten der Bibliothek sind wieder gefüllt, freie Plätze wieder seltener. Erstis verlaufen sich in den Gängen, verzweifelt auf der Suche nach dem richtigen Raum.

Doch wie kann echte Präsenz am Campus gelingen, wenn der erste Blick fast immer auf das Smartphone fällt?

Beton, Bildschirm, Blick – und Bodenplastik

Hinter zwei Leitbaken auf dem Forumsplatz der RUB befindet sich die Bodenplastik Grande Diagonale (1974) des italienischen Bildhauers Giuseppe Spagnulo (1936-2016). Sie gehört zur Reihe Ferri spezzati („gebrochene Eisen“), in der Spagnulo zeigt, wie sich Materialien durch einfache Eingriffe selbst formen – der Herstellungsprozess sollte hier sichtbar bleiben. Das Werk befindet sich bedacht auf Augenhöhe und soll einen direkten Zugang ermöglichen. Doch erst auf dem zweiten, wenn nicht sogar auf dem dritten Blick erschließt sich das Werk.

Spagnulos Werk vor den Kunstsammlungen der RUB am Forumsplatz. Fotos: Sude Erkan

Kunst am Bau in Zeiten des Wegsehens

Die amerikanische Soziologin Sherry Turkle untersucht in ihren Studien den Effekt des „Allein-zusammen-Seins“ in modernen Gesellschaften. In „Alone Together“ beschreibt sie, wie Menschen sich zwar physisch gemeinsam in Räumen befinden, mental aber oft woanders sind – in Chaträumen oder in Instagram-Storys. Das Smartphone wird zum Vermittler zwischen Welt und Wahrnehmung und oft eben auch zum Filter. Was nicht im Bildschirm erscheint, ist manchmal völlig unsichtbar.

Ein Kunstwerk am Bau verlangt somit das genauere Hinsehen. Es lebt von der Körperlichkeit des Raums, vom Sonnenlicht, vom Innehalten und von Präsenz – insbesondere jetzt, wo Präsenz am Campus wieder Normalität geworden ist.

Kunst am Bau kann helfen, uns aus der digitalen Ablenkung zurückzuholen und Räume für echte Erfahrung und Verbindung zu schaffen.

George Rickey: Two Open Rectangles Excentric Triangular Section, Variation VII (1977) vor dem Audimax | Foto: Sude Erkan

Den Blick für die Welt wiedergewinnen

„Ich bin immer knapp dran und muss schnell zum Seminar. Ich glaube nicht, dass ich eher anhalten würde, wenn ich größere Infotafeln vor mir hätte“, meint Stella. Mit Infotafeln direkt vor den Kunstwerken könne sie sich zumindest jedoch vorstellen, dass mehr Interesse geweckt werden kann. Auch Louisa plädiert für eine bessere Kennzeichnung der Exponate am Campus.

An der RUB stellen die Kunstwerke Zeitzeugen einer Idee von Bildung, Öffentlichkeit, kultureller Teilhabe und Inklusion dar. Kunst am Bau bietet keinen Algorithmus, der zeigt, was uns gefällt – sie fordert unseren eigenen Zugang. Vielleicht ist es Zeit, diesen Blick wiederzugewinnen. Weniger durch das Display, mehr durch das direkte Erleben.

Eine komplette Übersicht aller Kunstwerke des RUB-Campus findet ihr unter: https://uni.ruhr-uni-bochum.de/de/kunst-am-bau

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Selbst reparieren statt neu kaufen – Die Fahrradwerkstatt an der RUB

Ein Bericht von Gracia Lea Barndt | Titelbild: Gracia Lea Barndt

Seit Juli 2020 steht Studierenden der Ruhr-Universität Bochum ein besonderes Angebot zur Verfügung: eine offene Fahrradwerkstatt, die von der Studierendenschaft getragen und vom AStA (Allgemeine Studierendenausschuss) unterstützt wird. Ziel der Werkstatt ist es, nachhaltige Mobilität zu fördern und Studierende zu befähigen, ihre Fahrräder kostengünstig selbst zu reparieren, anstatt sie wegzuwerfen oder teuer in Stand setzen zu lassen.

Vor allem in den Sommermonaten treffen sich am Nachmittag zahlreiche Studierende und Fahrradbegeisterte in der Werkstatt. Der Geräuschpegel aus klirrendem Werkzeug, das konzentrierte Arbeiten und die leise Musik im Hintergrund prägen die Atmosphäre. Die Stimmung ist entspannt, hilfsbereit und familiär – viele berichten, dass sie einfach „Spaß am Schrauben“ haben.

Die Fahrradwerkstatt (Foto: Gracia Barndt)
Blick nach draußen von der Fahrradwerkstatt aus (Foto: Gracia Barndt)

Wie alles begann

Initiiert wurde die Werkstatt von Kardo Kaldewey in Zusammenarbeit mit dem AStA. Schon früh stieß Benjamin Rohnke dazu und half dabei, die Idee zu einer dauerhaften Einrichtung auszubauen. Die Motivation war klar: Studierende mit geringem Budget sollten in die Lage versetzt werden, ihre Fahrräder selbst instand zu setzen, statt neue zu kaufen. Inspiration kam unter anderem von ähnlichen Projekten in Städten wie Bielefeld.

Das Team besteht heute überwiegend aus engagierten Studierenden mit technischem Verständnis, die auf Minijob-Basis arbeiten. Ihr Wissen haben sie sich oft durch jahrelange Erfahrung und persönliches Interesse angeeignet. Auch Praktikumsplätze sind möglich, wie das hier verlinkte Angebot für den Optionalbereich der Ruhr-Universität Bochum zeigt . Engagierte Helfer\*innen können zudem jederzeit einsteigen. „Ich hatte einfach Spaß am Schrauben und habe irgendwann selbst angefangen, andere anzuleiten. Zudem erlangt man sehr schnell das technische Know-how“, erzählt Seheil Hamidzaden Moghadam, der nun Teil des Teams der Fahrradwerkstatt ist.

Selbst schrauben statt Warten

Das Angebot richtet sich in erster Linie an Studierende, für die die Nutzung kostenlos ist. Auch externe Gäste sind willkommen, für sie wird jedoch eine kleine Nutzungspauschale erhoben. Es handelt sich nicht um eine klassische Auftragswerkstatt: Hier wird nicht für die Nutzer*innen gearbeitet, sondern unter fachkundiger Anleitung selbst repariert.

Vor Ort stehen Spezialwerkzeuge sowie günstige Ersatz- und Verschleißteile wie Schläuche, Ketten oder Bremsbeläge zur Verfügung. Auch gebrauchte Teile können gegen eine freiwillige Spende genutzt werden. Sachspenden werden gerne entgegengenommen. Da es sich nicht um einen kommerziellen Fahrradladen handelt, kann nicht garantiert werden, dass alle benötigten Teile vorhanden sind.

Die häufigsten Reparaturen betreffen Bremsen oder Bremsbeläge, und die Arbeitsschritte können auch ohne Vorkenntnisse mit Unterstützung des Teams schnell erlernt werden.

Werkzeuge der Fahrradwerkstatt (Foto: Gracia Barndt)

Die Werkstatt befindet sich im sogenannten „Glaskasten“ im Zentrum des Campus zwischen dem Gaming Hub und der Sparda-Bank. Geöffnet hat sie dienstags, mittwochs und donnerstags von 12 bis 18 Uhr. Vor allem zur Feierabendzeit und in den Sommermonaten ist der Andrang groß.

So geht es weiter – die Fahrradwerkstatt von morgen

Aktuell steht das Projekt vor einer weiteren großen Veränderung: Der „Glaskasten“ soll im Rahmen der Campusrenovierung abgerissen werden. Ein genauer Zeitpunkt steht noch nicht fest, weshalb das Team im engen Austausch mit dem Rektorat steht, um einen neuen Standort zu finden.

Philipp Krüger, Leiter sowohl des Repair Cafés als auch der Fahrradwerkstatt, wünscht sich langfristig den Aufbau eines umfassenden Zentrums für Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Dort könnten die Fahrradwerkstatt, das Repair Café sowie weitere ähnliche Angebote ein gemeinsames Zuhause finden. Allerdings sind derzeit sowohl die finanziellen Mittel als auch passende Räumlichkeiten begrenzt.

Bis dahin bleibt die Fahrradwerkstatt ein Ort der Selbsthilfe, an dem Studierende lernen, ihre Fahrräder selbst zu reparieren. Gleichzeitig stärkt die Werkstatt das gemeinschaftliche Miteinander auf dem Campus.

Für weitere Infos oder Anfragen: https://asta-bochum.de/fahrradwerkstatt/

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