60 Jahre Ruhr-Universität Bochum – 48 Jahre Queer*Feministische Bibliothek und Archiv LIESELLE

Ein Feature von Lili Fox | Titelbild (Beklebte Tür der LIESELLE): Lili Fox

Ein kleiner Raum am Ende des gelb-grauen GA-Gebäudes, die Tür geschmückt mit bunten Stickern: Auf den ersten Blick wirkt die LIESELLE wie eine enge, unscheinbare Bibliothek. Doch dieser Ort auf dem Campus der Ruhr-Universität Bochum bewahrt tausende feministische und queere Stimmen – Werke, die sonst vielleicht vergessen worden wären. Hier kommen StudentInnen, Aktivistinnen und Forscherinnen zusammen, um nicht nur archivarisch zu arbeiten, sondern auch politische Diskurse mitzuformen. Das stellt das Archiv jedoch auch vor Herausforderungen: Die Zukunftssicherung, die Digitalisierung und die fortlaufende Anpassung an feministische Diskurse sind zentrale Fragen, die die MitarbeiterInnen beschäftigen.

Eingang der LIESELLE: GA 02/60 (Foto: Lili Fox)

Ein Archiv aus einer Lücke heraus geboren

Es beginnt mit Frust. 1977: Die neue Frauenbewegung ist bereits in vollem Gange und auch in den Gängen der Ruhr-Universität Bochum herrscht Unruhe. Eine Gruppe Geschichtsstudentinnen befasst sich mit einem Seminar zur Hexenverfolgung und erkennt: Die Darstellung ist männlich geprägt, die Perspektiven von Frauen fehlen fast vollständig – und das auch in vielen anderen Bereichen. Aus dieser Lücke heraus gründen die Studentinnen eine Forschungsgruppe, um feministische Perspektiven und Frauengeschichte zu dokumentieren. Ein Jahr später folgt das Archiv, das später zur LIESELLE wird.

Ursprünglich als Frauenarchiv ins Leben gerufen und bezeichnet, entschied sich das Team 2023 für eine Umbenennung: Queer*Feministische Bibliothek und Archiv LIESELLE. Begüm K. erklärt: „Wir reflektieren regelmäßig, wen wir übersehen haben und wen wir einbeziehen müssen“. Auch Begüm hat an der Ruhr-Universität unter anderem Geschichte im Bachelor studiert und ist eine von aktuell fünf StudentInnen, die in der LIESELLE tätig sind. Mittlerweile studiert sie Arabistik und Islamwissenschaft sowie vergleichende Literaturwissenschaft im Master. Begüm betont: „Die LIESELLE geht mit den Diskursen mit – die Umbenennung war eine bewusste Entscheidung, um sich klar gegen trans-exklusive feministische Strömungen zu positionieren und queere Perspektiven sichtbarer zu machen.“

Eine künstlerische Arbeit aus dem Lateinamerika-Archiv (Foto: Lili Fox)

Ein bewegtes Archiv für bewegte Geschichte

Seit ihren Anfängen hat die Sammlung stetig an Umfang und Bedeutung zugenommen. Heute umfasst sie mehr als 11.000 Werke: historische Zeitschriften der autonomen Frauen*Lesbenbewegung, künstlerische Arbeiten, wissenschaftliche Arbeiten, Flugblätter, Veranstaltungsankündigungen und ein einzigartiges Lateinamerika-Archiv. Besonders bemerkenswert ist das FrauenLesbenRadio Funk’n Flug, eine digitalisierte Sammlung von 46 Audiokassetten aus den 1990er Jahren – ein akustisches Zeugnis der lesbischen Bewegung im Ruhrgebiet.

Einige Bestände sind besonders persönlich: Buchschenkungen stammen teilweise von Bekannten der Gründerinnen, die ihre eigenen Sammlungen an die LIESELLE weitergegeben haben. Für Begüm zeichnet diese Besonderheit die Dynamik der LIESELLE aus.

Ein Ort für Forschung, Aktivismus und Austausch

Die LIESELLE ist nicht nur Archiv, sondern auch ein politischer Raum, ein Ort für gelebte Bewegungsgeschichte und ein Spiegel der feministischen Kämpfe der letzten Jahrzehnte. Wer sich mit queer*feministischen Themen beschäftigen will, findet hier nicht nur Bücher, sondern auch lebendige Geschichte und Menschen, die feministisches Wissen bewahren und weitertragen.

Kooperationen mit dem atelier automatique oder der Oval Office Bar des Schauspielhaus Bochum bringen Archivmaterial in Ausstellungen und öffentliche Veranstaltungen ein. „Es ist uns wichtig, dass unser Archiv nicht nur als Lager verstanden wird“, sagt Begüm, „Es soll genutzt werden“. Die ständige Weiterentwicklung der LIESELLE beinhaltet außerdem das Sammeln von aktuellen Forschungsarbeiten und Literatur, die der Thematik neue Perspektiven verleihen – so können beispielsweise auch Abschlussarbeiten von Student*innen zur Erweiterung beitragen.

Bibliotheksteil der LIESELLE (Foto: Lili Fox)

Zukunftspläne und Herausforderungen

Ein Problem bleibt die langfristige institutionelle und finanzielle Absicherung. Die LIESELLE wird als Projekt des AStA geführt – von StudentInnen, die oft nur einige Jahre dabei sein können. „Wissenstransfer ist eine ständige Herausforderung“, erzählt Begüm. Auch spiegelt sich diese Dynamik in den Öffnungszeiten der LIESELLE wider: Sie ändern sich jedes Semester, da sie an die Stundenpläne der StudentInnen angepasst werden, die hier arbeiten. In der vorlesungsfreien Zeit erfolgt der Zugang per Terminvergabe, damit die Bestände trotz reduzierter Ressourcen zugänglich bleiben.

Ein damit einhergehendes Ziel: mehr Digitalisierung – mehr Zugänglichkeit. Der Bestand ist nicht in klassische Bibliothekskataloge integriert, sondern über den META-Katalog des Dachverband deutschsprachiger Frauen / Lesbenarchive, -bibliotheken und -dokumentationsstellen (i.d.a. Dachverband) auffindbar.

Kategorisierungssystem der LIESELLE (Foto: Lili Fox)

„Unsere Archivierung unterscheidet sich von klassischen Kategorisierungssystemen“, so Begüm, „Wir setzen Schwerpunkte, die in klassischen Archiven oft untergehen“. Projekte zur Digitalisierung, etwa über das Digitale Deutsche Frauenarchiv (DDF), ermöglichen erste Schritte, doch ganzheitliche Lösungen fehlen bislang.

Mehr Digitalisierung des Archivs würde außerdem mehr Schutz für die physischen, teils einzigartigen Bestände bedeuten. Eine Herausforderung benennt Begüm klar: „Wie archiviert und digitalisiert man Materialien, die über klassische Bücher hinausgehen, etwa persönliche Notizen, handgeschriebene Kataloge oder künstlerische Arbeiten?“

Ein Ort, der Geschichten bewahrt – und weiterschreibt

Derzeit wird die LIESELLE hauptsächlich von StudentInnen und KünstlerInnen genutzt, aber sie steht allen offen. Für die Nutzung sind lediglich eine E-Mail-Adresse und ein Name zu hinterlegen. Die Kontaktaufnahme kann unkompliziert über Instagram oder die Website erfolgen. Die MitarbeiterInnen unterstützen zudem gerne bei der Literatursuche. Wer Material zu spezifischen queer*feministischen Themen benötigt, kann sich an sie wenden – sie helfen aktiv bei der Recherche in den Beständen.

Als Literaturempfehlung für EinsteigerInnen nennt Begüm „We Are Everywhere: Protest, Power, and Pride in the History of Queer Liberation“ sowie den neu erschienenen Sammelband „AktivistInnen im Archiv. Von den Anfängen der Frauenforschung bis zu queeren Interventionen“, herausgegeben von Katja Teichmann, die selbst seit 2014 in der Queer*Feministischen Bibliothek und Archiv LIESELLE engagiert ist. Ein Werk, das Einblicke in feministische Archivarbeit bietet und verdeutlicht, warum es Räume wie die LIESELLE auch in Zukunft braucht.

LINKS:

Quelle: Interview mit Begüm K.

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Ein interkultureller Abend für alle: Iftar an der Ruhr-Universität Bochum

Beitrag: Nele Hülshorst | Titelbild: Nele Hülshorst

An einem Abend zum Ende des Wintersemesters erstrahlte die Hauptmensa an der RUB in einem besonderen Glanz. Die Tische standen in Reihen angeordnet, mit Plätzen für jeweils acht Personen. Gedeckt waren sie mit blauen Servietten aus schwerem Stoff, Weingläsern, Wasserflaschen und süßen Vorspeisen. Diese, für mich zumindest, ungewohnte Erscheinung der Mensa hatte einen besonderen Anlass, denn der Allgemeine Studierendenausschuss (AStA) und das Autonome Ausländer:innen Referat (AAR) luden zum 16. Mal zum Interkulturellen Abendessen ein. Es wurde Iftar gefeiert, das allabendliche Fastenbrechen im Ramadan. Ich habe daran teilgenommen und lade euch hiermit ein, diesen Abend mit mir Revue passieren zu lassen.

Hunger und Erwartungen

Ich kam an diesem kühlen Frühjahrsabend an der RUB an und traf mich mit meiner Freundin Alina, die ebenfalls an der RUB studiert und mich zum interkulturellen Abendessen begleitete. Es war ein windiger und kalter Tag, weshalb wir direkt die Mensa ansteuerten. Und wir waren bei weitem nicht die einzigen mit diesem Ziel.

Vor dem Seiteneingang zur Mensa hatte sich bereits eine Schlange gebildet. Viele (vermutlich) Hungrige warteten auf Einlass. Im Flur, direkt neben der Tür, stand ein Tisch, an dem zwei Helfer:innen zunächst die Tickets einscannten und weiße Bändchen aushändigten, die sofort den Weg an unsere Handgelenke fanden. Eine Abendkasse gab es nicht. Seit ein paar Jahren werden die Tickets, zwecks besserer Planung und der Vermeidung von Lebensmittelverschwendung, nur noch im Vorverkauf vertrieben.

Wir waren beide sehr gespannt, was dieser Abend für uns bereithielt. Ich hatte zudem ordentlich Hunger mitgebracht, weil ich das Mittagessen ausgelassen hatte. Mir drängte sich der Gedanke auf, dass viele Anwesende heute wahrscheinlich noch gar nichts gegessen oder getrunken hatten. Als nicht-gläubiger Mensch habe ich selbst Fasten bisher nur als Abnehm-Trend am eigenen Leib erfahren, nicht aber als religiöse oder spirituelle Praktik.

Mit unseren Bändchen am Handgelenk ging es zunächst in den Kassenbereich, wo sich kleine Grüppchen sammelten. Wie wir feststellten, wurden nämlich nur vollständige Gruppen, die zusammen am Iftar teilnehmen wollten, zu ihren Plätzen im Essenssaal geführt. Da wir nur zu zweit waren, nutzten wir die erhöhte Position des Kassenbereichs nur kurz, um die Mensa in ihrem Festgewand zu betrachten.

Vorfreude und Festtagsglanz

Nachdem wir von einem weiteren Helfer zu einem Tisch gebracht wurden, setzten wir uns an die Fensterplätze des Tischs. Ich ließ den Blick schweifen, noch war die Mensa größtenteils leer. Der Himmel draußen zeigte sich wolkenverhangen.

Alina und ich kamen ins Plaudern und unterhielten uns über allerlei, was uns in der vorlesungsfreien Zeit beschäftigt hatte – Hausarbeiten und Prüfungen hielten uns in Atem. Die Speisekarte des heutigen Abends wurde auch schnell Thema. Es gab drei Gänge, jeder Gang bot auch eine vegane Option. Darüber freute sich Alina als langjährige Veganerin besonders, aber auch ich als Omnivore hatte es nicht schwer, mich zu entscheiden. Kürbiscremesuppe, Süßkartoffel-Paprikacurry mit Reis und dunkle Mousse au Chocolat – lecker und bis auf den Nachtisch alles vegan.

Die vollbesetzte Mensa | Foto von Nele Hülshorst

Während wir versunken in unser Gespräch und die Auswahl des Essens waren, füllte sich unser Tisch und auch der gesamte Essenssaal sehr zügig, sodass nach circa einer Stunde alle Tische besetzt waren. Auf Anfrage wurde mir mitgeteilt, dass sich an diesem Abend um die 900 Besucher:innen zum Iftar getroffen und zusammen gefeiert haben. Der Raum füllte sich nicht nur mit Menschen, sondern auch mit dem Geruch warmer Speisen. Es roch nach einer Mischung aus herzhaft und fruchtig, fast süßlich. Eine Beschreibung fiel uns schwer. Ist das etwa Zimt? Oder Ingwer? Wir waren uns in jedem Falle einig, dass dieser fantastische Geruch dem Hunger nun jede Tür geöffnet hatte und das Magengrummeln nicht mehr zu verhindern war.

Der Himmel war in der Zwischenzeit aufgeklart. Die Lichtstimmung, die durch einen goldenen Sonnenuntergang, draußen wie auch in der Mensa, erzeugt wurde, verlieh dem Ganzen ein zusätzliches, feierliches Leuchten. Die Geräuschkulisse war ein großes Gemurmel unterschiedlicher Sprachen und geselligem Lachen.

Beten und Besinnlichkeit

Als dann ein junger Mann das Wort ergriff und sich, durch ein Mikrofon verstärkt, an die Menge wandte, ergriff eine freudig gespannte Stille den Raum. Im Namen der veranstaltenden Organisationen wurden wir begrüßt und kurz in den Ablauf eingewiesen. Die Tische seien in Gruppen zusammengefasst, die aufgerufen werden, wenn sie sich zum Buffet begeben dürfen. Auf diese formale Ansprache folgte ein gesungenes Gebet. Die Stimmung war andächtig. Alle Anwesenden ruhten in sich, lauschten den arabischen Worten und der musikalischen Begleitung.

Eine interkulturelle Mensa-Erfahrung

Darauf folgte das Fastenbrechen. Die plötzliche Bewegung im ganzen Raum ließ das vorangegangene Prozedere wirken, wie die sprichwörtliche Ruhe vor dem Sturm. Die ersten Tischgruppen standen auf und gingen zur Essensausgabe. An unserem Tisch wurden die Wasserflaschen geöffnet und die Gläser befüllt. Die Datteln und Baklava haben wir erstmal links liegen lassen. Als unser Tisch aufgerufen wurde, gingen wir zum Buffet und holten uns unsere drei Gänge.

Das war, entgegen allem anderen an diesem Abend, eine typische Mensa-Situation: das Essen wird aus großen metallenen Wärmebehältern auf weiße Teller geschaufelt, viele Leute mit Tabletts in langen Schlangen, manche laufen etwas verwirrt und mit suchendem Blick durch die Gegend. Wieder an unserem Tisch angekommen, konnten wir schlemmen und dem Magengrummeln ein Ende setzen.

Das gemeinsame Essen

Die meisten an unserem Tisch starteten mit der Kürbissuppe. Von den Schalen und Löffeln stieg leichter Dampf auf, der verriet, wie heiß die Suppe war. Ich hörte überraschte Ausrufe, als einige am Tisch entdeckten, dass unten in die Tasse Kürbiskerne eingestreut waren. Das Curry mit seinen verschiedenen Gemüsesorten erfreute sich bei Alina und mir besonderer Beliebtheit. Die Gemüsestückchen waren nicht verkocht, sondern hatten noch Biss. Die Mousse au Chocolat zum Abschluss hat mich ebenfalls begeistert. Die leichte Bitterkeit der dunklen Schokolade war nach dem würzigen Curry genau das Richtige. Nachdem alle Nachtische verputzt waren, stellte sich zum Teil schnell Aufbruchsstimmung ein. An unserem Tisch standen die anderen Personen fast sofort nach dem Essen auf und brachten ihre Tabletts zu den Servierwagen.

Wir blieben noch etwas sitzen und ich blickte erneut durch den Saal und über die verbliebenen Menschen, die zusammen lachten und eine schöne Zeit zu verbringen schienen. Draußen war es inzwischen dunkel geworden.

Nachdem Alina und ich uns noch an den übrigen Baklavas und Datteln gütlich getan hatten – ein Nachtisch nach dem Nachtisch quasi – haben wir uns auf den Heimweg gemacht. Auf dem Weg nach draußen sind wir auch an der Gebetsecke für die Frauen vorbeigekommen, die gerade auch von einigen genutzt wurde. Beim Blick durch das Fenster, wo man sonst die langen Tischreihen der etwas höher gelegenen Plätze in der Mensa sehen kann, konnte man nun eine freie Fläche erspähen. In der Mitte waren Tücher oder Decken ausgebreitet. Um diese herum standen mehrere Frauen und beteten mit den Händen vor der Brust. Entgegen unserer Neugierde wendeten Alina und ich unsere Blicke wieder nach vorn in Richtung des Treppenaufgangs. „Mich würde ja schon interessieren, wie so ein Gebet abläuft“, sagte ich zu Alina, die mir prompt zustimmte und lachend einwarf: „Aber da jetzt am Fenster zu stehen und zuzuschauen ist super respektlos.“ Ich lachte und nickte. Dabei denke ich darüber nach, wie man auf eine respektvollere und wertschätzende Art und Weise unsere interkulturelle Neugierde stillen könnte.

links Baklava, ein süßes Blätterteiggebäck mit Pistazien; rechts Datteln | Foto von Nele Hülshorst

Warum ein solcher Abend wichtig ist

Das Interesse an einer derartigen Veranstaltung an der RUB ist ungebrochen groß. Wie mir berichtet wurde, blieben die Zahlen über die letzten Jahre weitestgehend konstant. So haben sich im letzten Jahr circa 1000 Leute versammelt, um zusammen das Fasten zu brechen.

Auch wenn es beim Fastenbrechen um eine islamische Tradition geht, sind Menschen aller Glaubensrichtungen willkommen. Nach Angaben des AStA ist das interkulturelle Abendessen die größte Veranstaltung dieser Art auf unserem Campus und bildet einen festen Bestandteil des (inter-)kulturellen Lebens an der RUB. Das gemeinsame Essen bietet Raum für Austausch zwischen Student:innen, Angehörigen der Universität und allen anderen interessierten Besucher:innen.

Mir ist es wichtig, nochmal hervorzuheben, dass die Interkulturalität an diesem Abend nicht durch die Veranstalter:innen hervorgebracht wird, sondern durch die Teilnehmenden. Der Austausch mit anderen kann nur stattfinden, wenn ich selbst dazu bereit bin. Mit diesem Wissen werde ich im nächsten Jahr wieder am interkulturellen Abendessen teilnehmen. Abschließend bleibt mir nur zu sagen, dass ich die Atmosphäre an dem Abend sehr genossen habe. Auch den geneigten Leser:innen empfehle ich einen Besuch.

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Muskelkater statt Klischees – Mein Selbstversuch im Hochschulsport Bochum

Autorin: Lisa-Marie Bühring | Titelbild: Lisa-Marie Bühring

Aquafitness, Krav Maga, Zumba – die Hochschulsportkurse der Ruhr-Uni Bochum bieten alles. Die Auswahl? Riesig. Erst überwältigend, dann faszinierend. Die Kurse sind teilweise nach Erfahrungsstufen unterteilt, egal ob Anfängerin oder Fortgeschrittener, hier wird es möglich gemacht. Eine Chance, Neues auszuprobieren, ohne ein Abo abzuschließen, die alten Hobbys wiederzuentdecken, ein Ausgleich neben Studium und sogar der Arbeit. Selbst wenn einem die Sportart nicht liegt, lernt man doch wenigstens neue Leute kennen.

„Ist das überhaupt Sport oder nur sexy Rumgehampel?“ „Das ist doch voll einfach – einfach Pfeil rein, zielen, fertig.“ „Da tanzt du ja halbnackt – das kann man doch nicht ernst nehmen!“ „Frauen mit Pfeil und Bogen? Das ist doch nur sexy Amazonen-Kram!“

©RUB | Hochschulsport Bochum

Ich selbst suche mir regelmäßig Kurse zum Ausprobieren, bei denen ich weiß, ich bin nicht die einzige Anfängerin. Meine Freude war riesig, als ich freie Plätze beim Bogenschießen gesehen habe. Schnell wurde der Kurs gebucht, Freundinnen noch überredet mitzumachen. Immerhin wollte ich nicht als einzige Frau dastehen. „Außerhalb von Märchen ist das doch ein Männersport.“ Zuhause scrolle ich in Jogginghose auf der Couch sitzend erneut durch die Angebote und sehe Pole Dance. „Man muss doch supergelenkig, schlank und durchtrainiert sein, um das zu können?“, denke ich mir, während ich mein Eis esse. Letztlich buche ich auch diesen Kurs. Und wenn ich keine Lust mehr habe, ghoste ich die Kurse einfach wie manche Nachrichten.

Mit zwei so unterschiedlich durch Genderklischees geprägten Kursen kann ich den Start nicht abwarten herauszufinden: Stimmen diese Vorurteile – oder sind sie längst überholt? Und vor allem: Wie schlecht werde ich mich anstellen?

Erste Schritte – erste Zweifel

Für den Pole Dance Kurs konnte ich keine Freunde begeistern. Auf dem Weg zur ersten Stunde werde ich nervös. Ich bin weder supergelenkig noch schlank noch durchtrainiert, aber mehr als „abschmieren wie ein toter Vogel“ kann ich sowieso nicht.

Beim Bogenschießen war es einfacher. „Bogenschießen? Das klingt ja cool!“ – meine Freundinnen waren sofort dabei. Janina, die ebenfalls am Hochschulkurs teilnimmt, hatte eine ähnliche Erfahrung: „Ich hatte vorher keine Erfahrung mit der Sportart, aber ich fand es schon als Kind faszinierend. Außerdem wollte ich meine Schultern stärken und meine Haltung verbessern.“

Zwischen Tradition und Popkultur

Bogenschießen hat ein Imageproblem – oder gleich mehrere. Die einen denken an Mittelalter-Nerds in Kettenhemden, die anderen an Hollywood-Heldinnen. „Bogenschießen wird oft mit Männern assoziiert, aber durch Figuren wie Merida oder Katniss ist es mittlerweile fast schon normal, dass auch Frauen den Sport ausüben“, sagt Isabelle, die schon in Korea Bogenschießen ausprobiert hat.

Während Bogenschießen mit Bildern von Rittern und Hollywood-Heldinnen kämpft, wird Pole Dance oft mit Stripclubs assoziiert. Janina verbindet „Pole Dance mit Akrobatik und extremer Kraft. Jeder, der schon mal Calisthenics probiert hat, weiß, wie anstrengend das ist.“ Auch Isabelle sieht den körperlichen Ansatz: „Von der Optik her würde ich es als Eiskunstlauf an der Stange bezeichnen – es hat Technik, Kraft und Eleganz.“

Foto: Lisa-Marie Bühring; ich beim Bogenschießen

Während der ersten Stunde merke ich den Unterschied der beiden Kurse. Während das kleine Studio in sanftes Licht getaucht ist und Stangen sich in den gegenüberliegenden Spiegeln reflektieren, ist die Halle, in der das Bogenschießen stattfindet, kühl, das Licht grell. Reihen von Zielscheiben stehen in der Ferne, der Boden ist mit Linien markiert. Kaum ein Geräusch, nur das leise Surren von Sehnen, das dumpfe Auftreffen der Pfeile. Jeder hier scheint fokussiert – fast meditativ. Ich halte den Bogen, spüre das Gewicht, ziehe vorsichtig die Sehne zurück, der Atem wird ruhig. Konzentration. Stehe ich richtig? Spannung. Ein dumpfes Klatschen, Treffer. Niemand applaudiert, keine Musik, keine Ablenkung. Hier zählt nur Präzision. „Bogenschießen ist weniger Kraft, mehr Technik. Wer nur mit Kraft schießt, trifft nicht.“

Währenddessen klebt meine Haut beim Pole Dance an der Stange, meine Arme zittern. Die Trainerin schwingt sich scheinbar mühelos in die Höhe – ich nicht. Stattdessen habe ich das Gefühl, dass ich abrutsche, unelegant lande. Lachen. Die Stimmung? Laut, ermutigend, voller Energie. „Pole Dance erfordert mehr Kraft als viele denken – wer glaubt, es sei kein Sport, soll es einfach mal ausprobieren.“

Ich kam mit Vorurteilen – und ging mit Muskelkater

Nach ein paar Wochen in beiden Kursen frage ich mich: Stimmt eigentlich noch eines der ursprünglichen Klischees? „Frauen im Bogenschießen werden oft sexualisiert – als ob eine wehrhafte Frau besonders exotisch wäre.“ – „Pole Dance wird meist mit Erotik und Weiblichkeit verbunden.“

In beiden Kursen habe ich mich nie als Frau fehl am Platz gefühlt. Die Atmosphäre ist sehr respektvoll. Meine Haltung hat sich verbessert und ich bin konzentrierter. Ich sehe Erfolge, die sich über Wochen aufgebaut haben. Meine Pfeile treffen öfter die 10, meine Körperspannung hat sich verbessert.

Beim Bogenschießen erwartete ich Kettenhemden, beim Pole Dance grazile Akrobatinnen. Stattdessen fand ich konzentrierte Menschen, die ihre Technik perfektionierten. Und Muskelgruppen, von denen ich nicht wusste, dass sie existieren.

Foto: Lisa-Marie Bühring; ich beim Pole Dance

Was bleibt von den Klischees?

Klischees gibt es überall – doch sie sagen oft mehr über unsere Vorstellungen aus als über die Realität. Filme und Medien prägen das Bild von Bogenschießen als selbstverständlicher für alle Geschlechter – Pole Dance braucht eine ähnliche Entwicklung. Beide Sportarten sind technisch anspruchsvoll. Bogenschießen ist Ruhe, Pole Dance ist Kraft, und beide sind einfach Sport.

„Das sind Sportarten, mit krasser Körperspannung und Kontrolle.“ „Geheimagenten, das denke ich dabei.“ „Konzentration und Meditation – einfach abschalten.“ „Anstrengende Sportarten.“ „Muskelkraft und Präzision.“

Ich bin froh, dass ich die Sportarten ausprobiert und sogar für mich entdeckt habe. Ob ich jetzt ein Profi bin? Definitiv nicht. Aber ich habe gelernt, dass Sport mehr ist als Muskelkraft – es geht darum, etwas Neues zu wagen. Und eins weiß ich: Beim nächsten Hochschulsport-Kurs buche ich wieder. Wer weiß? Vielleicht steht beim nächsten Mal eine Sportart auf dem Plan, die ich mir heute noch nicht vorstellen kann.

Mein Tipp: Probiert es aus. Denn das größte Hindernis ist oft nicht die eigene Kraft, sondern die Klischees im Kopf.

Den Link zu den Kursen des Hochschulsports Bochum der Ruhr-Uni Bochum findest du hier.

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